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AutorenbildAndrea Nagl

Die Alpen und performative Interventionen entlang der Dreiländertour am Alpenhauptkamm

Aktualisiert: 20. Nov.

Anfang August sind wir die siebentägige Dreiländertour am Alpenhauptkamm in den Zillertaler Alpen und randlichen Hohen Tauern gewandert. Fast durchgehend bewegten wir uns oberhalb der Vegetationsgrenze inmitten einer grandiosen, von noch in Resten vorhandenen Gletschern überformten Hochgebirgslandschaft. Fast jede Hütte lag in einem Talschluss, der noch zur Jahrhundertwende (vom 20. ins 21.) von den mächtigen Gletscherzungen geprägt war. Heute liegen sie jedoch nur noch am Rande der weit ausladenden von Gletscherschliff gezeichneten Talbögen. Oft gab es deutlich geformte und noch unbewachsene Seitenmoränen, während die Gletscherabflüsse im Licht der Abendsonne glitzerten. 


NACKTES GESTEIN BLOSSGELEGT DENUDIERT




Ich liebe es, im nackten Fels zu wandern. Für mich wirkt es tief beruhigend (obwohl ich keine Kletterin bin!). So wie unsere Knochen die Essenz unseres Seins tragen, offenbart das freiliegende Gestein den Kern einer Landschaft. Die Felsregionen strahlen für mich eine große Klarheit und Purheit aus. 


Bei unserer Tour hatte ich - wie meistens - ein Performance-Kostüm dabei. Inmitten des nackten Gesteins mit kaum mehr als ein paar kleine Pflänzchen, ist es weit einfacher geologische Prozesse und Geschichten von Gesteinen zu verkörpern als im Studio oder auch in den alten Steinbrüchen in Niederösterreich und Wien, wo Bäume, Gras und Gestrüpp den Blick aufs oft Gestein verstellt.


Im Kambrium hatten Gesteine der zukünftigen Ostalpen vermutlich als Peri-Gondwana eine Position am Nordrand von Gondwana bevor dieser Bereich der Protoalpen im Silur nordwärts driftete. Im Karbon entstand infolge der Kollision zwischen Gondwana und Laurussia das Variszische Gebirge und der Superkontinent Pangäa. Dabei wurden Sedimentpakete zusammengeschoben, verfaltete und zu Decken übereinander gestapelt. Dabei wurden auch die Gesteine der Protoalpen eingegliedert.


Viele Wegabschnitte führten über weite Felder von Blockschutt, ein Mosaik der Zeit und Erosion. Jeder Felsen erzählte seine eigene Geschichte, in unterschiedlichen Stadien des Verfalls. Einige Brocken waren riesig und unerschütterlich, andere beinahe vollständig zerbröselten. Manche waren von Rissen durchzogen, aber hielten dennoch zusammen, als würden sie sich weigern, endgültig zu zerfallen. Andere waren bereits von ihrem Ursprung getrennt, aber so verkeilt, dass sie noch immer mit ihm verbunden schienen. Einige dieser Steine verharren seit Jahrzehnten, vielleicht noch länger, in ihrer scheinbar instabilen Balance, als ob sie ewig der Schwerkraft trotzen könnten.


SIEH DAS ANSTEHENDE, DEN FESTEN FELS




Dieser Anblick inspirierte meine Bewegungsstruktur "Erosion und Abtragung" auf eine völlig neue Weise. Die Vielzahl an Möglichkeiten des Zerfalls offenbarte sich in den Formen des Gesteins – Schicht für Schicht, ein Tanz des Verfalls. Auf dem Gletscherschliff zu tanzen, half mir zu erahnen, wie es sich anfühlt, die Oberfläche des Gesteins zu schleifen, zu kritzen, zu glätten, es zu erodieren –  Körper und Natur im Einklang mit dem stetigen Prozess der Veränderung.


Im Perm wurde das Klima am Superkontinent Pangäa wüstenhaft. In der Trias öffnet sich der Tethys Ozean, die Vorläufer der Alpen nehmen eine Position am Äquator am Ostrand des Kontinents tief in der riesigen Bucht des Tethys Ozeans ein. Pangäa beginnt zu zerfallen. Im tropisch warmen Schelfmeer werden Kalke abgelagert.


Spannend war auch, erstmals mit einer geologischen Karte unterwegs zu sein, die mir half, die Gesteinseinheiten der Umgebung zu erfassen. Meist bewegten wir uns durch den Zentralgneis (mehr dazu in einem anderen Beitrag). Gegen Ende der Tour, wo die Zillertaler Alpen und Hohen Tauern aufeinandertreffen, führte uns der Weg durch alte Paragneise und Glimmerschiefer des Altkristallins (Schieferhülle Südrahmen). Die klare Veränderung des Gesteinsgefüges begeisterte mich, und es inspirierte auch meine performativen Interventionen – das verfaltete, "bunter" wirkende Gestein brachte neue Ideen und Bewegungen hervor.


NACKTER FELS - INTRUSION ALT / VARISZISCH - METAMORPHOSE




Die Fotos zeigen meinen Research für die Performance GEHE RÜCKWÄRTS DURCH DIE ERDE. 

Ich wurde eingeladen, eine geologisch-tänzerische Performance für den neuen Saal 6 des Naturhistorischen Museum Wien im Rahmen meiner Forschung zu kreieren. Sie wird am Mittwoch, 13. November 2024 zu sehen sein.


Im Jura öffnet sich der Penninische Ozean durch Dehnung und Grabenbildung zwischen dem "Alten Europa" und Afrika, das mit dem Adriatischen Sporn eine Kontinentbrücke bildet. Der Penninische Ozean vergrößert sich kontinuierlich durch Neubildung ozeanischer Kruste. Entlang der südöstlichen Seite des Penninischen Ozeans erstreckt sich das Areal des ostalpinen ("austroalpinen") Schelfs (Ablagerungen auf dem Nordteil des (aus kontinentaler Kruste bestehenden) Adriatischen Sporns). Der einsetzende Ostdrift von Afrika und dem adriatischen Sporn läutet das Schließen des Penninische Ozeans in der Unter-Kreide ein...


Natürlich habe ich, bevor wir losgefahren sind, einige Bücher und Artikel zur alpidischen Orogenese, als der Gebirgsbildung der Alpen gelesen. Ein wirklich empfehlenswertes Buch ist von Hans Egger: Ostalpen-Saga. Neben informativen Fakten zur Entstehung der Alpen und ihrer Einheiten und Decken, gibt Egger auch zahlreiche „Schwänke“ aus seinem Geologen-Leben zum besten. 

Ebenfalls sehr informativ und gut lesbar ist das pdf „Die Entstehung der Alpen Werden und Vergehen eines Gebirges“ von Hans Peter Schönlaub, veröffentlicht vom Alpenverein.

Beide Zitate und weitere Literaturtipps sind unter „Ressourcen“ zu finden!


VERWITTERUNG - ABTRAGUNG - TRANSPORT - FORMUNG - RUNDUNG



Mit dem Abtauchen des Penninischen Ozeans unter die ostalpine Kruste, kam es zu tiefen Einsenkungen nördlich der Subduktionslinie. In diesen Tiefseetrögen erfolgte die turbiditische Sedimentation (nordpenninischer Flysch).... Nachdem der gesamte Penninische Ozean subduziert worden war, geriet auch ein großer Teil der europäischen Kontinentalplatte unter die ostalpine Kontinentalmasse. Somit liegt das Ostalpin über Flysch und Penninikum. ...


Ich bin noch nicht sicher, welchen Aspekt der Entstehung der Alpen ich performativ herausgreifen werde - entweder lässt sich die Geschichte reduzieren auf Öffnung des Penninischen Ozeans, Schließung desselben, Kollision Adriatischer Sporn bzw. Afrika mit Europa, Deckenstapelung, Faltung, Überschiebung. Später Hebung. Dazwischen diverse Kalkablagerungen in den flachen Schelfmeeren, oder es wird sehr kompliziert mit unüberschaubarer Menge an verschiedenen Decken und Gesteinsformationen… 

Also am besten einstweilen selbst nachlesen, wie dieses wichtige Gebirge in Österreich sich geformt hat!




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