Performance und Installation im Naturhistorischen Museum Wien am 13.11. 2024, 17.30 - 20.00, Dauer Performance 90min.
Andrea Nagl: Konzept, Choreografie & Performance, Sound, digitale Kunst Markus Wintersberger: digitale Kunst Marcus Josef Weiss: Sound, outside eye
Vor dem biografischen Hintergrund eines naturwissenschaftlich geprägtem Elternhauses setzt sich die Tänzerin und Choreografin Andrea Nagl seit einigen Jahren künstlerisch mit Themen der Erdgeschichte und Geologie auseinander. 2024 erhielt sie das Arbeitsstipendium der Stadt Wien, um ihre Forschung an der Schnittstelle von Körper / Choreografie und Wissenschaft zu intensivieren.
Ausgehend von intensiver wissenschaftlicher Recherche dringt die Andrea Nagl Schicht für Schicht in geologische Prozesse ein, bis sich ihr ein „Raum des Verstehens“ öffnet, in dem sie sich frei bewegen kann. Die wissenschaftlich-objektive Sicht auf Geologie oder Paläontologie wird durch das Prisma des Tanzes betrachtet und um einen emotional-subjektiven Blick erweitert. Gesteine und erdgeschichtliche Prozesse werden in einem kreativen Transformationsprozess verlebendigt und so sinnlich erfahrbar. Parallel dazu bilden in VR entstehende Zeichnungen visuelle Anhaltspunkte für das Erforschte.Wie Ereignisse der Erdgeschichte erscheinen tänzerische Fragmente an einem Ort auf und vergehen wieder. Die Flüchtigkeit des Tanzes spiegelt nicht nur die Vergänglichkeit, das Werden und Vergehen alles Lebendigen, sondern auch aller Oberflächenformen unseres Planeten wider.
Eine künstlerische-konzeptionelle Verbindungsachse von Tanz und Geologie; und ein hochinteressanter Arts-based Research Ansatz der die Grenzen und Trennungslinien von Naturwissenschaft und Kunst öffnet und transzendiert. (Marcus Josef Weiss)
Ablauf Performance - kursiv gedrucktes bezieht sich auf die Bewegungsstrukturen innerhalb der wissenschaftlichen Forschung:
Eingangsszene - in Kontakt treten
Prolog Ozean
Entstehung des Lebens
Aus einer hypothetischen „formlosen“ Ursuppe entstand erstes Leben vermutlich in der Nähe Schwarzer Raucher, wo Schwefel-Mineralien wie Pyrit Biomolekülen eine Anheftungsfläche boten. Vor rund 4 Milliarden Jahren entwickelten sich erste Membranen, die, wenn sie sich allmählich vom Mineral abhoben, einen geschützten Raum für Aminosäuren und andere Moleküle schufen. Bereits vor etwa 2,1 Milliarden Jahren existierten makroskopische mehrzellige, kolonial lebende Organismen (Gabonionta), die jedoch rasch wieder ausstarben - die Evolution des Lebens verläuft nicht linear. Der nächste große Anlauf makroskopischen Lebens war die Ediacara-Fauna, deren skelettlose Weichtiere vermutlich in symbiotischen Lebensgemeinschaften lebten. Erst im Kambrium erscheinen Tiere mit Schalen und Panzern, auch erste Sedimentwühler treten auf und beeinflussen das Ökosystem nachhaltig.
Die Erhaltung mineralisierter Hartteile als Fossilien bleibt dennoch eine Ausnahme im geologischen Überlieferungsprozess. Zerfall und Einbettung im Sediment folgen rekonstruierbareren Mustern. Museen präsentieren oft die Skelette fossiler Tiere in „lebensnahen“ Posen.
Mit Auszügen aus einem Vortrag von Mathias Harzhauser für den Club of Vienna.
Zwischenteil Zeichnen Dobra-Gneis
Dobra-Gneis
Der Dobra-Gneis Typ A gilt mit 1,38 Milliarden Jahren als eines der ältesten Gesteine Österreichs. Er entstand als Granit bei einer Gebirgsbildung am Westrand des Amazonia Kratons, von wo aus er seine Reise „durch“ die Superkontinente Rodinia, Pannotia und Pangäa antrat. Er erlebte mehrere Gebirgsbildungen und das Auseinanderbrechen von Kontinenten, war in mehrere Metamorphosen involviert, wanderte später mit den Kontinentalplatten über den Südpol und den Äquator und ist heute im Waldviertel zu finden. Da die Forschung noch viele Lücken in der „Biografie“ des Dobra-Gneises aufweist, habe ich meine tänzerische Interpretation zwischen belegten Fakten und eigenen Hypothesen angesiedelt.
Assoziationen sind: Schmelzen von Gestein, Kristallisieren, Metamorphose Kristalle kippen, Warten im Untergrund, Werden und Vergehen von Gebirgen, Eiszeiten, Teilaufschmelzung, Dauer, Weg der Terrane, Kollision, Faltung Variszisches Gebirge, Metamorphose Faltung, Überschiebung Moldanubikum Moravikum, Versenkung, Deformation, Hebung, Entlastungsmetamorphose, Zeit, heute
Massenaussterben
Das Phanerozoikum wird durch fünf große Massenaussterben charakterisiert. Die Aussterbephasen waren kurz - in einer Größenordnung von 10.000 - 100.000 Jahren. Die Erholungsphasen dauerten bedeutend länger (Millionen Jahre). Heute leben wir vermutlich in der Zeit des sechsten Massensterben.
Alpen / Großglockner
Der Großglockner, Österreichs höchster Berg, besteht überwiegend aus umgewandelter ozeanischer Kruste des ehemaligen Penninischen Ozeans. Diese Kruste verwandelte sich bei ihrer Subduktion tief in der Erdkruste in Prasinite. Zusätzlich sind Serpentinite am Basisaufbau beteiligt – Gesteine, die ursprünglich aus dem Erdmantel stammen und durch Prozesse an mittelozeanischen Rücken in die Nähe des Ozeanbodens gehoben wurden.
Assoziationen: Alpen - es ist kompliziert. Daher kurz. Sedimentation. Zukünftiger Serpentinit - am Weg zur Subduktion, abgeschert, Metamorphose (Foliation, Volumensvergrößerung durch Einlagerung von Wasser), Großglockner.
Zwischenteil Zeitenrad
Landgang der Pflanzen
Lange bestand das Festland nur aus nacktem Gestein. Vor ungefähr 1 Milliarde Jahren existierten jedoch schon Mikroorganismen, die in Feuchtgebieten oder im Gezeitenbereich lebten und das Gestein mit einem Teppich aus grünem Schleim überzogen. Erste Sporenfossilien von Landpflanzen stammen aus dem Ordovizium (ca. 470 Millionen Jahren). Diese nicht-vaskulären (ähnlich heutigen Moosen) Pflanzen lebten im feuchten Uferbereich, wo sie sich an das Gestein klammerten, das sie langsam erodierten, obwohl sie noch keine echten Wurzeln besaßen. Sie gingen bereits Verbindungen mit Pilzen ein, die (oft noch parasitär) effizienter Nährstoffe aus dem Gestein gewinnen konnten. Ab dem Silur erscheinen die ersten Gefäßpflanzen - Psilophyten, kleine blätterlose Sprosse. Im Devon kam es schließlich zu einer massiven Ausbreitung und Diversifikation der Pflanzen. Mit tiefer reichenden Wurzeln entstanden die ersten Wälder. Zugleich entwickelte sich eine echte Bodenbildung.
Schon im Ordovizium und besonders im Devon könnten Pflanzen eine Rolle bei der Entstehung von Eiszeiten gespielt haben (verstärkter Nährstoffeintrag in die Ozeane - Algenblüten - CO2 wird begraben - Abkühlung).
Mit einem Objekt von Kata Anna Tüz.
Kurzes Instagram Reel von der Performance:
Vielen Dank an alle, die mir ihr Videomaterial zur Verfügung gestellt haben! 🎥: Kata Anna Tüz, Verena Doublier, Markus Wintersberger, Thomas Nichterl, Eva Kollenz Roetzel, Christian Buchmayer. Schnitt: Andrea Nagl
*****
Fotos auf dieser Seite:
1.Reihe: von links nach rechts Christian Buchmayer, Still Marcus Josef Weiss/Andrea Nagl, Markus Wintersberger Hochformat: Eva Kollenz-Roetzel
2.Reihe: Stills Marcus Josef Weiss/Andrea Nagl, Mitte: Markus Wintersberger
3.-6.Reihe: Stills Marcus Josef Weiss/Andrea Nagl
7.Reihe: von links nach rechts Bert Gstettner, Eva Kollenz-Roetzel, Still Marcus Josef Weiss/Andrea Nagl
8.-10. Reihe: Stills Marcus Josef Weiss/Andrea Nagl
*****
Die Performance fand auf Einladung von Mathias Harzhauser / nhm Wien im Rahmen von VIENNA ART WEEK als Abschlusspräsentation des Arbeitsstipendiums der Stadt Wien 2024 ("soil") statt.
Mit freundlicher Unterstützung von Stadt Wien Kultur.
Comments