(Ein geologische Begriffe, der in unsere Alltagssprache Eingang gefunden hat... !)
Überall Steine...
Steine in Ausstellungen zu drapieren oder sie in Hintergrundtexten von Projekten zu platzieren scheint im Moment ein Trend zu sein. Spannend, diese Entwicklung ist mir entgangen, zur Zeit aber springen mir Steine überall ins Auge. Da ich mich schon lange mit Geologie, Erdgeschichte und noch länger mit Natur - und in diesem Kontext auch Gestein - beschäftige, ist meine aktuelle Recherche eine Fortsetzung dieser Interessen. Dass aber irgendwann in den letzten Monaten bis Jahren das kollektive künstlerische Denken nicht mehr nur um Natur (Naturzerstörung, Pflanzen, Organisches an sich) kreist, sondern nun auch Gestein und am Rande Erdgeschichte integriert, überrascht mich.
Allerdings scheinen diese Aspekte oft eher als Querverweise zu verschiedensten Themen zu dienen oder werden sehr assoziativ behandelt.
In einigen meiner Projekte dienen Steine, Landschaften, Erdgeschichte auch als inspirierende Ausgangspunkte für Bewegungsscores oder räumliche Gestaltung (Randnotizen, z.T. Forms of Life, in gewisser Weise auch allochthon). Dagegen ging es schon in XR[noe] | human nature um eine relativ konkrete Umsetzung (die im Tanz natürlich dennoch sehr abstrakt bleibt), genauso im aktuell laufenden Projekt smART Data BRIDGE Krahuletz Auch bei Forms of Life und _allochthon ging es mir in gewisser Weise um die Suche nach der idealen, „perfekten“ Struktur, Bewegung, Choreografie für ein geologisches Phänomen, ein erdgeschichtliches Ereignis (und nicht um ein rein assoziativ davon ausgehen).
Ich verleihe den Gesteinen, den Gebirgen oder - geologischen - Landschaften eine Sprache in Bewegung, ich mache sie lebendig, indem ich sie verkörpere.
Je länger und öfter ich mich mit Themen der Geologie beschäftige, desto schwieriger wird dieses Unterfangen: ich habe schon so viele Aspekte, die mich interessieren, getanzt, „vertanzt“, dass es herausfordernd ist, noch weitere, neue Scores, Übersetzungen, Bewegungsmuster zu finden.
Aktuell suche ich nach einer (Tanz/Bewegungs-)Sprache für den Kreislauf der Gesteine. Allerdings habe ich viele vorkommende Aspekte bereits in anderen Projekten oder sogar in anderen Sequenzen innerhalb der aktuellen Projekte umgesetzt: Vulkanismus, Magma, Metamorphose unter hohem Druck und Temperatur, Verwitterung, Gebirgsauffaltung usw.
Und da ich auch sehr selbstkritisch bin, stecke ich oft im Verwitterungsschutt fest…
Die Wichtigkeit von Kommunikation
Ich bin es gewohnt, viel alleine zu arbeiten - solistisch und auch, wenn ich im Team tätig bin, bin ich doch die meiste Zeit allein im Studio oder am Computer. Dennoch bin ich in hohem Maße auf den kommunikativen Austausch mit anderen Menschen angewiesen. Es hilft mir, meine Gedanken zu organisieren, indem ich sie in Worte fasse.
Letzte Woche hatte ich endlich wieder ein fachliches Treffen mit (mehrheitlich) DoktorandInnen der Geologie. Eine von ihnen hatte eine kleine Gruppe von KollegInnen zusammengestellt, nachdem ich sie angeschrieben und ihr mein Anliegen geschildert hatte.
Es hat mich sehr berührt, dass so viele junge WissenschaftlerInnen es spannend finden, wenn sich jemand künstlerisch mit ihrem Fachgebiet auseinandersetzt und sich freuen, wenn ihre Forschungsthemen auch außerhalb der Institutsmauern Anklang finden. Eigentlich war ich die meiste Zeit am Reden und habe von meinen diversen Projekten im Themenfeld erzählt, ab und zu machten sie Vorschläge, welche geologischen Aspekte Wien betreffen könnten (wobei es mir nicht um Wien geht - ich glaube, nur weil man ein Stipendium der Stadt Wien für Tanz/Performance hat, muss man sich geologisch nicht mit Wien beschäftigen…), jedoch! das meiste hatte ich schon mal getanzt (die Ur-Donau, das Wiener Becken…).
Da die meisten aus dem wissenschaftlichen Umfeld von Prof. Wagreich kommen, kam auch das Thema Anthropozän zur Sprache, das mich bisher nicht sonderlich interessiert hat, da es mir zu gegenwärtig ist, und mich die langen Zeiten und Dauern faszinieren, die Erde ohne den Menschen. Aber die Beschreibungen, dass nicht nur Plastik inzwischen wirklich als ein eigenständiges Sediment betrachtet werden muss (meterdicke Schichten aus Sand und Plastik, auch die Verlagerung und Einregelung von Plastik am Meeresgrund entspricht „klassischen“ Fossilien - daher auch der Begriff „Technofossilien“), sondern sogar Plastikpuppen im Marianengraben und ähnlichen entlegenen Räumen gefunden wurden („Bilder wie aus einem Horrormovie“), fand ich doch beeindruckend. In „verwittertem Plastik“ seien unter dem Mikroskop sogar bizarre kristalline Strukturen zu erkennen.
Einige aus der Gruppe sind GlaziologInnen, allerdings forschen sie an alten Gletschern bzw. an deren Spuren (300 Mio Jahre alt, im heutigen Namibia, 18.000-20.000 Jahre alt in Salzburg). Im Sinne des Aktualismus werden Erkenntnisse über diese längst abgeschmolzenen Gletscher, über das Verhalten des Gesteins und des Wassers genutzt, um unsere heutigen Gletscher besser zu verstehen.
Eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ein Lernen aus Gewesenem. Ein Projizieren in Kommendes. Sich selbst als ein Partikel in einem fortwährenden Prozess der Veränderung begreifen.
Ich tanze ein Gestein, eines von unendlich vielen in Raum und Zeit, und bin selbst nur ein winziger Moment im Lauf der Erdgeschichte.
Titelbild aus dem Projekt Pinhole Industrie/4 2024, nagl~wintersberger
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