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AutorenbildAndrea Nagl

„Dem aber, der die Sprache versteht, dem sprechen die Steine“

Aktualisiert: 29. Jan.

Ein Gespräch mit dem Geologen Dr. Reinhard Roetzel



Flugstein Granit mit Text - Randnotizen
Foto "Flugstein" aus dem Projekt Randnotizen (2023, Nagl~Wintersberger)

Diese Woche habe ich den Geologen Dr. Reinhard Roetzel in seinem Büro in der GeoSphere Austria getroffen.


Eine Frage, die ich mir selbst in letzter Zeit gestellt habe, ist, ob meine Beschäftigung mit Naturwissenschaft ein weiterer Versuch ist, mich tiefer mit der Natur zu verbinden*). In vielen Projekten habe ich IN der Natur getanzt, hatte so das Gefühl, der Landschaft, dem Boden, im doppelten Wortsinn, näher zu sein. Ebenso habe ich Performances und Projekte über unterschiedliche Natur-Phänomene gestaltet, um sie in einer Kontext-Verschiebung in den Innenraum zu bringen und mit der assoziativen Sprache der Kunst emotionale Resonanz zu erzeugen, meine Faszination über beispielsweise Gletscher oder die lange Dauer der Evolution zu teilen. Vielleicht ist meine Recherchen über Erdgeschichte sogar eine Art Suche nach dem Sinn des Lebens - ein eher aufwändiger Weg zwar, aber an die Wurzeln gehend… 


Aufgrund dieser Überlegungen interessiert es mich, ob Menschen, die sich beruflich mit Naturwissenschaft beschäftigen, auch einen besonderen Bezug zur Natur haben.

Reinhard Roetzel bejaht das sofort: Er wolle eine Landschaft verstehen, das bezieht für ihn auch die Menschen oder Baudenkmäler und Gebäude einer Gegend mit ein. Er lerne immer spannende, auch kuriose Menschen kennen, die häufig die sie umgebende Natur sehr genau beobachteten, wenn er im Feld arbeite. All das ergebe einen Bezug zur Landschaft.

Je besser man die Geologie und Morphologie einer Landschaft in allen Details kennenlernt, ihre Genese erforscht, desto stärker ist man mit ihr verbunden. So wie es Reinhard mit den Worten Emil Eglis (1971) in der Überschrift sagt: Dem aber, der die Sprache versteht, dem sprechen die Steine...


Eine tiefe Auseinandersetzung und Beschäftigung mit etwas, lässt uns in allem Bedeutung erkennen …


Diese Beobachtung würde ich auf die meiste (wissenschaftliche) Forschung übertragen. Je mehr man sich in ein Thema einliest, sich vertieft, desto mehr Zusammenhänge werden sichtbar, desto spannender wird die Thematik.

Zum Beispiel sehe ich plötzlich, seit mir Reinhard über das Meer im westlichen Weinviertel im Eggenburgium und Ottnangium (21,5-17,2 Mio. Jahre vor heute) und die darin abgelagerten Sedimente (die auch in Steinbrüchen abgebaut wurden) berichtet hat, in sämtlichen Gebäuden, die aus Stein gebaut sind, Fossilien. Sogar in den Treppen ins Tanzstudio, über die ich seit fast 30 Jahre gehe.


Ein Thema, das Reinhard wichtig ist, ist Wissensvermittlung an sich, da der Zugang zu Geologie und Erdwissenschaften für die meisten Menschen nicht selbstverständlich sei - Gesteine würden als „tot“ und unbelebt abgetan, die riesigen Zeiträume sind schwer zu begreifen.

Wenn er von Steinen, ihren Geschichten, ihrem „Leben“ und ihren „Reisen“ erzählt, werden sie allerdings ganz und gar lebendig! Es ist faszinierend, wie komplexe Dinge plötzlich Sinn machen und sich vor dem inneren Auge auffächern, wenn er über geologische Prozesse spricht. 

Anhand Bildern von Ron Blakey zur Plattentektonik (Empfehlung!!) haben wir die Reise der Gesteine des Moravikums und Moldanumbikums bis zu ihre Lage im heutigen Waldviertel verfolgt. Über Fotos war ich ganz nah dabei, als die berühmten Seekuh-Skelette aus der Eggenburger Bucht ausgegraben wurden. Und ich habe endlich ein Bild bekommen, wie es vor sich geht, wenn Reinhard zum Kartieren unterwegs ist. 


Steine selbst können nicht reden, aber Reinhard gibt ihnen eine Stimme und lässt sie erzählen.


Das Gestein, aus dem Windkanter bestehen, die man zum Beispiel im Waldviertel findet, ist als später hinzukommendes Magma in den schon weitgehend gehärteten Eisgarner Granit (ca. 325 Mio Jahre alt) in Gängen aufgestiegen. Da diese Granitporphyre viel feinkörniger und dichter sind, sind sie bei der späteren Verwitterung als Blöcke stehen geblieben, während der sie umgebende mittelkörnige Granit zu sandigem Grus zerfallen ist. Im Pleistozän, vor ungefähr 30.000 Jahren, wurde der feinkörnige Grus und Sand ausgeblasen und hat die stehengebliebenen Blöcke wie mit einem Sandstrahler abgeschliffen und zu Windkantern geformt.

Diese "Steingeschichte" habe ich dann gleich in der 3D-Brille als Rundumbild gezeichnet:


Entstehung von Windkantern, gezeichnet in der VR Brille



*) Ein Buch, das mich in dieser Überlegung bestärkt hat, war: 60° Nord von Malachy Tallack.

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